Künstliche Intelligenz hat immer mehr Einfluss darauf, wie Unternehmen ihre Wissensprozesse organisieren und automatisieren. Julian Funke, ein Experte auf diesem Gebiet, spricht im Interview darüber, welche Herausforderungen es bei der Implementierung von KI-basiertem Wissensmanagement gibt und wie Unternehmen ihr Wissen besser nutzen können, um effizienter zu arbeiten.
Wie kam es zu deinem Fokus auf Wissensmanagement und KI?
„Ich bin schon seit meiner Masterthesis mit dem Thema Wissensmanagement vertraut. Damals ging es um die Automatisierung und Generierung von Wissen, was mich sehr fasziniert hat. Seit 2019 arbeite ich verstärkt im Bereich KI und Wissensmanagement. Es gibt diesen bekannten Spruch: ‚Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.‘ Das beschreibt genau das Problem vieler Unternehmen: Sie haben unzählige Daten, aber es fehlt ihnen an Struktur und Zugriffsmöglichkeiten. Mein Ziel war und ist es, dieses Potenzial zu heben. Ich habe mich stark mit dem Generieren von Wissen, dem Abspeichern von Wissen und Wissensmining beschäftigt.“
Nutzt du KI auch für dein persönliches Wissensmanagement?
„Ja, absolut. Ohne meine KI wäre mein eigenes Wissensmanagement genauso chaotisch wie in vielen Unternehmen. Meine Ablage ist diversifiziert, aber zentralisiert verfügbar über eine Offline-KI, die mein internes Wissen kennt und mir hilft, mich zurechtzufinden.
Außerdem arbeiten wir viel mit Microsoft-Technologien, und ich nutze Tools wie den Microsoft Copilot. Das hilft enorm, Informationen aus verschiedenen Quellen wie OneNote oder Confluence schnell wiederzufinden und zusammenzufassen.“
Wie hat KI deine tägliche Arbeit verändert?
„KI ist mein täglich Brot. Von der Entwicklung über die Beratung bis hin zur Umsetzung – alles, was wir tun, dreht sich um KI. Selbst bei einfachen Aufgaben, wie dem Schreiben von Angeboten, nutzen wir KI. Wir haben zum Beispiel einen internen ‚Angebots-Bot‘, der aus meinen Stichpunkten vollständige Texte generiert. Das spart unglaublich viel Zeit und sorgt für eine einheitliche Tonalität. Es ist sogar so, dass die KI auch bei der Automatisierung der Prozesse hilft. Warum sollte ich das noch selber machen? Wenn man etwas mit Power Automate automatisieren möchte, lässt man die KI den Prozess entwerfen. Natürlich muss man das noch prüfen, hat aber eine Basis, um weiterzugehen.“
Welche Technologien nutzt ihr in der Praxis, um Wissen zu organisieren?
Wir arbeiten beispielsweise mit Copilot. Das dient als umfassende Glocke drumherum, mit der man dann interagieren kann und auf der Basis man die Informationen aus den einzelnen Wissensquellen ziehen und zusammenfassen kann.
Die andere Variate ist der RAG-Ansatz, hier nutzen wir Vektor- und Graphendatenbanken, die das Wissen verarbeiten. Das Spannende dabei ist, dass man mit diesen Informationen interagieren kann – also buchstäblich mit dem Wissen ‚chatten‘. Damit das funktioniert, muss man vorher allerdings das Data Cleansing durchführen und herausfinden, welche Daten wirklich von der KI verarbeitet werden sollen. Nur so kann eine KI sinnvoll arbeiten.“
Auch das lebenslange Lernen ist Teil des persönlichen Wissensmanagements. Wie wichtig ist das in eurem Kontext?
„Lebenslanges Lernen ist in unserem Bereich absolut unverzichtbar. Bei uns gibt es die Vorgabe, dass alle Mitarbeitenden mindestens einmal pro Jahr an einer Schulung teilnimmt – sei es intern oder extern. Wir haben das in sogenannten ‚Center of Excellences‘ organisiert, wo sich Kolleg:innen zu bestimmten Themen treffen und gemeinsam weiterbilden. Besonders in der IT und im Bereich der Künstlichen Intelligenz, wo die Wissens-Halbwertszeit extrem kurz ist – etwa 16 bis 18 Monate, im KI-Bereich aktuell gefühlt 18 Minuten – ist es entscheidend, ständig am Ball zu bleiben. Es geht dabei weniger um feste Wissensziele, sondern vielmehr darum, die Fort- und Weiterbildung kontinuierlich voranzutreiben, um nicht den Anschluss zu verlieren.“
Wie sieht das persönliche Wissensmanagement bei euren Kunden aus?
„In den meisten Fällen ist es völlig unstrukturiert. Jeder arbeitet auf seine Weise: Der eine nutzt Excel, der andere OneNote, wieder andere Textdateien. Für jeden selbst passt immer die eigene Struktur. Da gibt es auch kein Richtig und kein Falsch. Wenn es allerdings kaum Vorgaben gibt und die betreffende Person dann ausfällt, ist das Wissen oft schwer wiederzufinden oder möglicherweise verloren.“
Was sind die Herausforderungen bei der Implementierung von KI im Wissensmanagement?
„Die größte Herausforderung ist sicherlich die Datenqualität. Es reicht nicht aus, einfach eine KI einzusetzen – die Daten, mit denen sie arbeitet, müssen aufgeräumt und strukturiert sein. Leider sind viele Unternehmen der Meinung, sie hätten bereits alles dokumentiert. In der Praxis fehlen oft wichtige Informationen, etwa wenn aufgrund von Telefonaten oder E-Mails Prozessschritte nicht dokumentiert sind. Dann wundern sich viele, warum die KI das nicht kann. Manche haben das Gefühl, KI kann sofort alles und weiß alles über mich und meine Inhalte. So ist es aber nicht. Wenn ich Sachen nicht dokumentiert habe, kann ich sie keiner KI beibringen. Was nicht erfasst wurde, bleibt für die KI unsichtbar. Das ist besonders kritisch bei implizitem Wissen, das oft in den Köpfen der Mitarbeitenden steckt. Ohne eine solide Datengrundlage wird es schwierig, die volle Leistungsfähigkeit der KI zu nutzen.
Zudem muss man sich immer überlegen, welches Wissen angebunden werden soll und wer darauf Zugriff hat. Es gibt auch noch ein Berechtigungssystem, mit dem man arbeiten muss.
Was ist deine Prognose für die Zukunft des Wissensmanagements?
„Die Wissensgenerierung könnte in Zukunft ein noch größeres Thema werden. Die Idee dahinter ist, zum Beispiel Ablaufdiagramme, UML-Diagramme oder ähnliches aus Bestands-Wissenssystemen zu nutzen, indem man über intelligente Vision-Verfahren die Informationen rauszieht und wieder zur Verfügung stellt. Denn Bilder durchsuchen ist aktuell noch eine Herausforderung.
Was auch viel helfen kann, ist eine Unterstützung bei der Eingabe. Nehmen wir an, wir beide hätten jetzt einen Verkaufstermin gehabt. Wenn wir den jetzt nicht aufgezeichnet hätten, könnte man ja automatisch nach einem solchen Verkaufstermin oder irgendwie Kundengespräch abfragen: Du hattest doch einen Termin mit Martina. Wie war es denn? Euer Thema ist laut Outlook KI gestütztes Wissensmanagement gewesen. Worüber habt ihr gesprochen? Also das heißt ein Chatbot arbeitet einen Leitfaden ab und überträgt die Informationen, die dann da rauskommen, zum Beispiel in Confluence oder etwas vergleichbares. Das heißt, der Mensch wird fauler, wird einfach nur noch gefragt und gibt die Antwort. Und da kommt man ein bisschen mehr Dokumentation raus, als es ursprünglich der Fall war.
Wie ist es mit der Akzeptanz von den KI-Werkzeugen jetzt gerade auch bei Kunden?
Bei unseren Kunden gibt es häufig typische Bedenken. Zum einen die Angst, dass die KI mir den Job wegnimmt. Außerdem ist das Bedürfnis weit verbreitet, immer genau zu wissen, warum eine KI eine bestimmte Entscheidung trifft. Ein gutes Beispiel ist das autonome Fahren. Hier gibt es das klassische Beispiel, links ist eine alte Dame auf dem Zebrastreifen, rechts sind irgendwo Kinder und einen von beiden muss ich umfahren. Ein völlig fiktives Beispiel, aber solche Überlegungen führen oft zu einer gewissen Aversität gegenüber neuen Technologien. Viele Kunden möchten erst einmal genau verstehen, was hinter den Entscheidungen der KI steht, bevor sie sich damit wohlfühlen.“
Über Julian Funke:
Julian Funke ist ein führender KI-Experte und Spezialist für KI Geschäftsprozesse und Automatisierung. Als Keynote Speaker begeistert er Unternehmen in allen Größen für die spannende Welt der Künstlichen Intelligenz. Mit über 15 Jahren Erfahrung unterstützt er mit IT-P Unternehmen bei der digitalen Transformation und Prozessoptimierung. Seine besondere Expertise teilt er auch als Mentor für Startups in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und Beratung sowie in seinem Blog, beispielsweise zur Anwendung von KI im Wissensmanagement und zur Prozessautomatisierung.
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