In einer immer schneller wachsenden Informationsflut ist es wichtiger denn je, sein persönliches Wissen zu organisieren. Kann uns künstliche Intelligenz dabei helfen? Ich habe mit Stephanie Selmer, Expertin für Change Management und persönliches Wiki und Gründerin der Zettelkasten-Community, über die Bedeutung von persönlichem Wissensmanagement und die Rolle von KI gesprochen.
Wie sind Sie ursprünglich zum Wissensmanagement gekommen und welche Rolle spielt es in Ihrer täglichen Arbeit?
Ich bin durch meine Selbstständigkeit auf das Thema Wissensmanagement gestoßen. Mir wurde schnell klar, dass ich nicht nur fachlich wachsen musste, sondern auch eine effektive Methode brauchte, um all das Wissen, das ich aufnahm, zu strukturieren und zu nutzen. In meiner Arbeit als freiberufliche Change Managerin helfe ich Unternehmen bei Veränderungsprozessen, und dabei spielt Wissen eine zentrale Rolle. Es geht nicht nur um das Gefühl, sich mit einer Veränderung wohlzufühlen, sondern auch darum, handfestes Wissen über neue Abläufe oder zukünftige Entwicklungen zu vermitteln.
Wie sieht Ihr persönlicher Wissensmanagement-Prozess aus?
Mein Wissensmanagement hat sich über die Jahre stark weiterentwickelt. Anfangs war es eher intuitiv, doch mittlerweile verknüpfe ich Informationen gezielt miteinander. Ich arbeite viel mit einer Wissensdatenbank, einem Wiki, in das ich alles einspeise, was ich für relevant halte. Das Wichtigste ist, dass ich das Wissen so klein wie möglich aufsplitte, um es später leichter verknüpfen zu können. Es ist ein Prozess, der sich immer weiter verzweigt – aus einer Information entstehen oft viele neue Fragen und Recherchemöglichkeiten.
Ein Beispiel: Ich nutze einen Fragenkatalog, den ich über die Jahre für mich entwickelt habe. Er hilft mir, strukturiert über ein Thema nachzudenken. Das Besondere daran ist, dass dieser Katalog ganz individuell ist – wahrscheinlich würde Ihrer ganz anders aussehen, da Sie an anderen Dingen interessiert sind.
Wie arbeiten Sie konkret mit dem Wissen, sobald es in Ihrer Wissensdatenbank gespeichert ist?
Ich beschreibe es oft wie ein Spiel, das ich früher mit meinen Kindern gespielt habe: Wir haben uns zwei zufällige Wikipedia-Seiten ausgesucht, sagen wir Raumfahrt und Lilie, und versucht, durch Klicken auf Links im Text von einer Seite zur anderen zu gelangen. So ähnlich funktioniert auch mein Wissensmanagement – ich kann von jedem Punkt zu einem anderen gelangen, weil alles irgendwie miteinander verknüpft ist. Ich gehe also in mein Wiki und suche mir aus meinem „Setzkasten“ das heraus, was ich gerade brauche. Egal ob Fachwissen, Geschichten oder Anekdoten – ich greife auf das zu, was mir in dem Moment weiterhilft.
Welche Tools nutzen Sie für Ihr persönliches Wiki?
Obsidian ist für mich mein zentrales Werkzeug, weil es mir ermöglicht, mein Wissen nicht nur zu speichern, sondern auch dynamisch zu verknüpfen. Ich arbeite viel mit sogenannten Tags, also Schlagwörtern, und schaue mir lokale Graphen an, die nur die verknüpften Notizen zu einem bestimmten Thema anzeigen. So verliere ich nie den Überblick. Es fühlt sich nicht so an, als würde ich in klassischen Ordnern stöbern – es ist eher, als würde alles auf einem großen Tisch ausgebreitet liegen, und ich kann nach Bedarf darauf zugreifen.
Welche Rolle spielt KI in Ihrem Wissensmanagement?
KI, insbesondere ChatGPT, spielt eine immer größere Rolle in meinem Wissensmanagement. Ich nutze es, um mein Wiki nach Inhalten zu durchsuchen, die ich vielleicht anders betitelt oder beschrieben habe, als ich es heute tun würde. Die KI hilft mir dabei, Zusammenhänge zu erkennen, die ich selbst vielleicht nicht sofort sehen würde. Das ist besonders hilfreich, wenn ich altes Wissen wieder nutzbar machen möchte.
Auch zur Visualisierung nutze ich KI, zum Beispiel für die Bildgenerierung in Präsentationen oder Artikeln. Allerdings lasse ich die KI nie eigenständig Texte schreiben, da ich den Stil nicht mag. Ich setze KI vielmehr als Assistentin ein, die mir bei Recherchen hilft oder mir mal eine Formulierung vorschlägt, wenn ich irgendwo feststecke.
Nutzen Sie KI auch für andere Aufgaben, abseits von Ihrem Wiki?
Ja, ich nutze ChatGPT täglich, für viele kleine Aufgaben, die mir Zeit sparen. Es ist wie ein Assistent, den ich für Fleißarbeiten oder erste Gedankenanstöße verwende. Beispielsweise lasse ich ChatGPT einfache Recherchen erledigen oder es hilft mir, neue Ideen zu generieren. Allerdings springe ich für tiefergehende Suchen oft zurück zu Google, da ich dort spezifischere Ergebnisse finde.
Welche Rolle spielen KI-Tools in den Unternehmen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Ich sehe in den Unternehmen, mit denen ich arbeite, eine gewisse Zurückhaltung gegenüber KI. Viele haben Angst um ihre Daten und manche sperren sogar den Zugriff auf Tools wie ChatGPT. Sie befürchten, dass sensible Informationen in die falschen Hände geraten könnten. Einige Kunden nutzen KI jedoch gezielt für Aufgaben, die sie nicht gerne selbst übernehmen wollen, wie das Einsprechen von Trainingsvideos.
In meiner Bubble, also dem Bereich, in dem ich tätig bin, wird KI selten als wirklicher Gamechanger genutzt – oft dient sie eher dazu, ungeliebte Aufgaben auszulagern. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich Unternehmen mit dem Thema umgehen.
Wie sehen Sie persönlich den Einsatz von KI – positiv oder eher mit gemischten Gefühlen?
Für mich persönlich ist KI eine große Bereicherung, sowohl beruflich als auch privat. Besonders spannend finde ich, wie meine Kinder damit aufwachsen. Meine Tochter ist sieben Jahre alt und wir nutzen regelmäßig ChatGPT, um Fragen zu stellen, die sie interessieren – zum Beispiel „Wie viele Busse braucht man, um ein Fußballfeld zu füllen?“. Es ist faszinierend, wie schnell und einfach komplexe Zusammenhänge heute erklärt werden können.
Dennoch bin ich vorsichtig. Ich lasse die KI nicht alles für mich machen. Viele Menschen fügen KI-generierte Inhalte einfach in ihr Wissensmanagement ein, ohne sie wirklich verstanden zu haben. Das möchte ich vermeiden. Ich habe das Gefühl, dass das Wissen erst einmal durch mich durchlaufen muss, bevor ich es ablege. Es ist wichtig, dass ich das Wissen erst einmal selbst verstanden habe.
Gibt es aus Ihrer Erfahrung Unternehmen, die das persönliche Wissensmanagement ihrer Mitarbeiter gezielt fördern?
Es gibt Unternehmen, die anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, aber der Fokus liegt meist auf der Sicherung von Team- oder Abteilungswissen. Persönliches Wissensmanagement steht oft nicht im Vordergrund, obwohl es ja gebraucht wird, um das persönliche in Teamwissen überführen zu können. Manchmal ist da auch eine Angst. Vielleicht befürchten Unternehmen, dass Mitarbeitende, die ihr Wissen strukturieren und managen, dieses auch leichter mitnehmen könnten, wenn sie das Unternehmen verlassen.
Abschließend: Was ist Ihnen im Hinblick auf Wissensmanagement besonders wichtig?
Wissensmanagement ist ein lebendes Gebilde – man ist nie fertig damit. Es verändert sich ständig, wächst und entwickelt sich weiter, genauso wie das eigene Wissen. Wichtig ist, dass die KI eine unterstützende Rolle spielt und nicht das gesamte Wissensmanagement übernimmt. Es bleibt ein kreativer Prozess, bei dem die KI eine nützliche, aber nicht dominierende Rolle spielt.
Über Stephanie Selmer
Stephanie Selmer ist Expertin für Change Communication und begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen in Veränderungsprojekten. Mit ihrem „Change Story Framework“ macht es Unternehmen einfach, Storytelling im Change Management zu nutzen. Außerdem ist sie Mentorin für persönliche Wikis und hat das Buch 30-Minuten Second Brain geschrieben.
Pingback: KW44/2024: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society